“… berichten was ich gesehen hab”
Monika Hauser schildert ihr bewegtes Leben – im Einsatz für das Frauenhilfsprojekt medica mondial in Bosnien, als Frauenärztin in einem Kölner Krankenhaus und schließlich als Mutter und Partnerin.
Ein Portrait von Katja Baumgarten
Deutsche Hebammen Zeitschrift Mai/2001
“Es gibt Dinge, die mir Frauen in Bosnien erzählt haben, die ich ganz tief in mir vergraben habe, über die ich mit niemandem reden kann. Das geht soweit, dass ich denke, das kann ich nicht einmal einer Therapeutin antun, ihr das zu erzählen. Die sind in mir vergraben – die stecken fest, irgendwo da drinnen.”
Dr. Monika Hauser
Die Bedeutung dieser Worte wird mir erst im Nachhinein voll bewusst. Ein heißer Sommertag vor sechs Jahren: zu Besuch in der Wohnung von Monika Hauser, Mitte Juli 95, und ein unbegreiflicher, grausamer Krieg “vor unserer Haustür” auf dem Balkan. Aufnahmen mit dieser außergewöhnlichen Frauenärztin für ein Portrait für’s Fernsehen – in einer unüblichen Form: Ohne Kamerateam, wir sind zu zweit. Ich nehme als mitfühlende Frau auf, was sie mir berichtet – mit meiner kleinen Amateurkamera halte ich es fest. Ich bin aufmerksames “Medium” – Verwandtschaft mit meiner Hebammenarbeit. Nach der intensiven Begegnung finde ich mich an einem kleinen See wieder. Die übergroße Konzentration und Aufnahmefähigkeit schlägt um in tiefste Erschöpfung: Die Wucht und die Spannung von all dem, was mir diese Frau in den letzten Stunden von ihren Erfahrungen erzählt hat, breitet sich langsam aus.
Gründung – Medica Zenica
Dr. Monika Hauser: Fachärztin für Gynäkologie, 1959 als Südtirolerin in der Schweiz geboren, dort aufgewachsen, hat in Innsbruck und Bologna Medizin studiert. Heute lebt sie in Köln. Als sie im Herbst 1992 durch einen Pressebericht auf die massenhaften Vergewaltigungen an bosnischen Frauen aufmerksam wird, reagiert sie auf der Stelle: Sie fährt nach Bosnien und gründet zusammen mit einheimischen Frauen das Frauenhilfsprojekt “Medica” in Zenica – zunächst ohne einen Pfennig Geld. “Wir wussten, dass wir es schaffen würden, wir hatten das Gefühl großer Kraft. Mich hat das Nichtstun des Westens wütend gemacht.”
Das Frauentherapiezentrum Medica entsteht in Zenica in Zentralbosnien. Kernstück ist eine mobile gynäkologische Ambulanz in einem gut ausgestatteten Wagen, mit der auch Frauen in entlegenen Gebieten kostenlos behandelt werden können. Drei Frauenhäuser gehören dazu, in der Flüchtlingsfrauen mit ihren Kindern auch stationär aufgenommen und behandelt werden können – wo sie zum Teil auch zunächst leben können.
Ein Fest mitten im Krieg
Ihre Zeit in Bosnien mitten im Krieg hat ihr manches eröffnet, was hier in Deutschland kaum verstanden wird: “Beispielsweise, dass wir morgens noch, während eines Angriffs, zusammen im Schutzkeller saßen und uns aus unserem Leben erzählten. Später, nach der Entwarnung gingen wir wieder hoch in unsere Ambulanz und arbeiteten weiter. Und am selben Abend, manchmal in den verrücktesten Situationen, feierten wir ein Fest. Ohne Strom, mit Kerzenlicht, die Frauen sangen zur Gitarre und wir haben zusammen getanzt – vielleicht, weil eine der Frauen erfahren hatte, dass ihr vermisster Mann doch noch am Leben war.” “In Deutschland lernt man in Seminaren, Grenzen zu ziehen zu den Opfern sexuellen Missbrauchs, damit bei uns keine Sekundärschäden entstehen. Die sind in Zenica verwischt: Wir lebten alle in derselben Kriegssituation, redeten über unsere Angst, um sie nicht runterzuschlucken.”
1993 lebt sie das ganze Jahr über in Bosnien. Danach setzt sie ihre Fachärztinnenausbildung in einem Kölner Krankenhaus fort, mit einer halben Stelle. Ihre Arbeitszeit spielt sich von da ab im folgenden Rhythmus ab: Zwei Wochen Arbeit für Medica mit regelmäßigen Reisen nach Bosnien, dem Auftreiben von Spendengeldern und mit der Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland – und zwei Wochen Arbeit im Krankenhaus in Köln, auf einer geburtshilflich-gynäkologischen Abteilung.
Hierarchische frauenfeindliche Strukturen
Auf beides lässt sie sich maximal ein. “Ich kann nicht mit den Frauen arbeiten und es interessiert mich nicht, was mit ihnen los ist. Warum eine 30-jährige Frau Krebs bekommt – das beschäftigt mich schon über mein Aufklärungsgespräch mit ihr hinaus. Wenn ich Nachtdienst habe, versuche ich mir die Zeit zu nehmen, mit den Frauen auch zu sprechen.” Einmal muss sie beispielsweise einer sehr jungen Frau mit zwei kleinen Kindern eine Krebsdiagnose mitteilen und ihr erklären, dass sie noch zwei Jahre zu leben hat und sie ihren Lebensplan daraufhin einrichten muss. “Ich schaff es einfach nicht, das alles an mir abprallen zu lassen. Andererseits kann ich mich über die hierarchischen frauenfeindlichen Strukturen in diesem Haus tagtäglich aufregen und kann mir nicht sagen, ich hab hier nur einen halben Job – ich lass es an mir vorbeigehen. Das geht einfach nicht – ich kann das nicht.”
Die Kälte und Ignoranz in ihrer Arbeitswelt im Kölner Krankenhaus ist für sie kaum zu verkraften. “Ich habe nachts bei einer sterbenden Frau gesessen und hörte von der Nachtschwester, dass so etwas total unüblich ist!” Unfassbar ist für sie vor allem, dass ihre Kollegen konsequent versuchen, die Vorgänge am Balkan aus ihrem Leben auszublenden – und nicht mal ihr, mit der sie zusammenarbeiteten und die ja “vor Ort” eine gefragte Expertin zur katastrophalen Situation im Kriegsgebiet ist, kommt ein Zeichen des Interesses entgegen. “Es ist unter diesen Bedingungen für mich kaum möglich, in dieses Krankenhaus zum Arbeiten zu gehen.”, sagt sie mir damals.
Systematische Dokumentation
Gleichzeitig die Arbeit für Medica. Der Tag unserer Begegnung fällt in die Zeit, als gerade Tausende von Menschen in Srebrenica verschleppt, gefoltert und ermordet werden. Monika Hauser hat kaum geschlafen, nachts noch mit Zenica telefoniert. In Deutschland geht das Leben unbeirrt weiter. “Ich fühle meine Verantwortung, stellvertretend für andere, das zu berichten, was ich gesehen habe – was zutiefst mein Leben verändert hat und mein Leben auch prägt.”, sagt sie. Allein beim engagierten und offensiven Berichten belässt sie es nicht. Medica dokumentiert systematisch alle Verbrechen, die von Zeuginnen berichtet werden. Unterlagen, die auch beim Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verwendet werden.
“Ich würde eigentlich sehr gerne ein Kind bekommen”, sagt mir Monika Hauser an diesem Julitag, “aber das geht jetzt nicht.” Sie hat ihre Aufgabe im Krieg gefunden. Dort wird sie dringend gebraucht. Ihr Privatleben hat sie dafür zurückgestellt. Angesichts der Flüchtlingsströme in die Lager nach Zenica in dieser Zeit sagt sie: “Da gibt’s nichts. Es heißt einfach: volle Kraft und den Frauen helfen. Wenn man diese Frauen und Kinder sieht, die kommen und immer noch unter Schock stehen, dann weiß man, dass das die Arbeit ist!”
Ihr Partner steht voll hinter ihr. “Ich glaube, wenn Klaus Peter nicht zutiefst von diesem Krieg auch betroffen wäre, würde es wahrscheinlich gar nicht gehen – ich denke, dass wir uns darin auch gefunden haben. Ich könnte gar nicht mit einer Person zusammen sein, die den Sinn dieses Projekts nicht einsähe und die auch nicht einsähe, dass ich wegen diesem Krieg mein Leben umgestellt habe.”
Zusammenbruch – Neubeginn
Fast ein Jahr später bekomme ich einen Brief von Monika Hauser: Wenige Monate nach unserer Begegnung hatte sie einen völligen Zusammenbruch. Nun ist sie in der 26. Woche schwanger. Ihr Sohn Luca wird im August 1996 geboren. “Sicher ist es kein Zufall, dass ich nach der Krise schwanger wurde.” Seitdem hat sich ihr Leben sehr verändert.
Schwangerschaft und Geburt waren nicht einfach, ihr Kind wird nach einem vorzeitigen Blasensprung in der 32. Woche zu früh geboren. Die Zeit danach war wunderschön – Rückzug in “unsere Dreier-Höhle” zu Hause. Eine Erholung, “eine Zeit, von der man weiß, dass man so etwas nie mehr erleben wird.”
Sie nimmt von ihrer Krankenhausarbeit ein halbes Jahr Erziehungsurlaub. Danach nimmt ihr Mann Erziehungsurlaub. Die Arbeit für Medica geht allerdings gleich nach der Geburt weiter. Luca kommt überall mit hin, sein Vater ist auch immer dabei. Wenn sie Vorträge hält, müssen die Reisekosten für die ganze Familie von den Veranstaltern übernommen werden: Das ist ihre Bedingung. Die erste Reise nach Bosnien macht Luca mit einem halben Jahr. Das geht alles unproblematisch. Monika Hauser stillt ihren Sohn neun Monate voll, danach noch weiter bis zum 14. Monat. Ihr Kind ist auch so etwas wie ein Schutz für sie. Natürlich ist sie sich trotzdem bewusst, dass sie selbst dafür verantwortlich ist, für ihr eigenes Wohl und das richtige Maß zu sorgen.
Medica Kosova
1998 beendet Monika Hauser ihre Fachärztinnenausbildung. Danach ist mit der Zerrissenheit zwischen der Krankenhausarbeit und ihrem Herzensprojekt Schluss. Im April 1999 lässt sie in Köln alles stehen und liegen. Im Kosovo ist Krieg ausgebrochen. Sie fährt sofort nach Albanien und gründet an der Grenze zum Kosovo das zweite Medica-mondiale-Projekt: Medica Kosova. Zu Hause haben sie und ihr Mann gerade ein Reihenhaus gekauft, eine Rückzugsmöglichkeit außerhalb von Köln. Den Umzug, die Versorgung von Luca, alles muss ihr Mann in dieser Zeit allein bewältigen.
Heute ist Monika Hauser politische Geschäftsführerin von Medica Mondiale e.V. mit einer 35-Stunden-Stelle. Luca ist jetzt viereinhalb Jahre alt. Ihr Mann hält ihr weiterhin den Rücken frei: Er hat für vier Jahre unbezahlten Urlaub von seiner Arbeit als Tontechniker beim WDR genommen. Obwohl sie ihren Sohn bei seinem Vater in bester Obhut weiß, hat sie als Mutter manchmal mit Schuldgefühlen zu kämpfen: “Es ist erstaunlich, wie tief auch ich mir das gesellschaftliche Frauenbild zu eigen gemacht habe.” Wenn sie jetzt mal für ein bis zwei Wochen in den Kosovo reisen muss, fällt es ihr sehr schwer, zu Hause anzurufen und mit Luca zu telefonieren, ohne bei ihm sein zu können.
Den konstanten Rückhalt von Klaus-Peter im Alltag nimmt sie mit Dankbarkeit. Er hat bei ihrer familiären Arbeitsteilung gelegentlich die gleichen Erschöpfungssymptome wie normalerweise eine Mutter: den familiären Zeitplan im Griff behalten, das Kind muss rechzeitig in den Kindergarten, abends kommt eine erledigte Frau nach Hause. Wie findet man noch zu eigenem Engagement? Der Themenkreis der Gespräche am Rande des Sandkastens auf dem Spielplatz füllt ihn nicht aus, zumal es keine eigene Männerkultur in diesem Lebensbereich gibt und kaum Modelle als Vorbild für eine andere Rollenverteilung, als die übliche. Ihr Partner ist für sie auch ein hervorragender “Supervisor”: Sein guter Blick von außen hilft ihr dabei, Prozesse zu reflektieren.
Bundesverdienstkreuz abgelehnt
Für ihren Einsatz mit dem Frauenhilfsprojekt hat Monika Hauser in den vergangenen Jahren zahlreiche Preise und Auszeichnungen bekommen: 1993 wurde sie von den ARD-Tagesthemen zur “Frau des Jahres” gewählt, im Juni 1994 Verleihung des “Gustav-Heinemann-Preises”. Es folgen zahlreiche Auszeichnungen. Sie sieht in diesen Preisen “auch eine Anerkennung der Arbeit der bosnischen Frauen, denn normalerweise wird Frauenarbeit doch nur als Caritas gesehen.” Sie spürt allerdings auch die Ambivalenz der Auszeichnungen, eine Alibifunktion, um weiter mit dem eigentlichen Thema nichts zu tun haben zu müssen. Im Oktober 1996 lehnt sie die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes ab. Die Frauenärztin begründet das in einem ausführlichen offenen Brief an den Bundespräsidenten: Sie verweigert diese Ehrung aus Protest gegen den Beschluss der deutschen Regierung, mit der Rückführung der bosnischen Flüchtlinge nach Bosnien-Herzegowina zu beginnen – trotz der noch vollständig instabilen und katastrophalen Zustände in ihrer Heimat. Ihr Schlusssatz: “Die moralische Kraft der demokratischen Bundesrepublik Deutschland muss sich unter anderem daran messen lassen, wieweit sie sich in ihrer Politik für Überlebende eines Genozids einsetzt.”
Erschöpfungszustand
Ihr gesundheitlicher Zusammenbruch im Winter 1995/96 war das Resultat der vollständigen Überarbeitung, ständig auf Hochtouren, die eigenen Grenzen zu überschreiten – Reisen, Veranstaltungen, keine Zeit mehr zum Nachdenken über sich selber. “Im Dezember 95 war`s fertig – da habe ich nicht mehr gekonnt!” Verschlimmernd wirkte die Kluft zwischen der Gleichgültigkeit, die sie in der deutschen Gesellschaft erlebte und ihren eindrücklichen Erlebnissen in Bosnien. Dazu kam das, was in der Fachsprache Sekundärtraumatisierung heißt: Die fortwährende Konfrontation mit den extrem belastenden Erfahrungen der Frauen im Kriegsgebiet führten bei ihr zu einem hochgradigen Erschöpfungszustand.Bei einer neuerlichen Reise nach Bosnien traten massive psychosomatische Symptome auf, wie Herzrhythmusstörungen und Schwindel. Sie konnte gerade noch das nächste Flugzeug zurück nach Hause nehmen. Ihre Ärztin schrieb sie sofort für drei Monate krank. Wochenlang hat sich Monika Hauser daraufhin in ihr Schlafzimmer zurückgezogen. Shiatsu und eine homöopathische Stärkungs-Kur halfen ihr, wieder hochzukommen. Auch mit Psychotherapie hat sie wieder begonnen: Arbeitssupervision, die Sekundärtraumatisierung mit professioneller Hilfe anschauen.
Standards in der Traumaarbeit
Als es im Kosovo losging, war sie schnell wieder auf der gleichen Schiene wie früher: zuviel Arbeit! Aber sie spürt die Frühsymptome jetzt besser und reagiert eher auf die Signale ihres Körpers. “Es ist immer eine Prüfung für mich, weil ich es gerne anders hätte, und manchmal am liebsten meinen Körper ignorieren möchte.” Das Leben mit Luca zwingt sie und hilft ihr auch gleichzeitig, anders mit ihren Kräften zu haushalten. Sie hat besser gelernt, Grenzen zu ziehen: Das private Telefon klingelt jetzt nicht mehr ununterbrochen wie früher, die Abende sollen frei bleiben. “Ich muss mich mehr konzentrieren – und akzeptieren, dass ich nicht nur die Überfliegerin bin.”
Ihre Hauptarbeit findet jetzt, zusammen mit zwölf Mitarbeiterinnen, im Kölner Büro von Medica mondiale statt. Die Dokumentation der vergangenen Jahre wird ausgewertet, sieben Jahre Arbeit von Medica werden einer gründlichen Analyse unterzogen. Dabei entwickelt Monika Hauser mit ihren Kolleginnen Standards in der Traumaarbeit, erarbeitet Merkmale zur Qualitätsbestimmung und entwirft Konzepte und Fortbildungsprogramme: Material, das künftig Frauen in Kriegsgebieten zur Verfügung gestellt werden soll, so dass ähnlich effektive Frauenhilfsprojekte wie Medica von Frauen in den betroffenen Ländern selbst auf die Beine gestellt werden können.
Die Autorin
Katja Baumgarten ist freie Hebamme, Filmemacherin und Journalistin in Hannover. Seit 2000 ist sie Redakteurin der Deutschen Hebammen Zeitschrift. Weitere Informationen: www.KatjaBaumgarten.de.