Zur Entstehung

Der Dokumentarfilm “Wie habt Ihr das alle geschafft?” GEBURT IM SOMMER ist Teil eines mehrteiligen Filmprojekts zum Thema Alltag, Fruchtbarkeit, Geburt und Mutterschaft. Er entstand mit dem Hintergrund meiner Erfahrung als freiberufliche Hebamme in Hannover seit 1983 – selbst auch Mutter, die vier Kinder zur Welt gebracht hat. Ich bin oft überrascht, wie wenig Selbstbewusstsein schwangere und gebärende Frauen mitbringen. Was wird durch unsere Kultur überliefert? In unserem vielseitig aufgeklärten und gebildeten Leben herrschen nach wie vor Tabus, Unwissenheit, Verklärung und Expertengläubigkeit bei einem so selbstverständlichen Lebensvorgang wie dem Kinderkriegen, dem Mutterwerden.

Fruchtbarkeit und Geburt: Nicht allein der “Gottesfluch” “Unter Schmerzen sollst Du gebären!” soll erneut dokumentiert werden – die Frau als Opfer ihrer Biologie, aus der sie sich nur durch Verweigerung und Verneinung befreien kann. Auch dieses: Die elementare Potenz, Leben aus sich hervorzubringen, Stolz auf den fülligen Körper, der sich vorübergehend verwandelt hat und später wieder unbeschadet (hoffentlich) seine früheren Bedingungen finden wird… Der Schmerz, auch Sinnlichkeit und Lebenslust, Vorform von Bewußtsein, am Grat des Todes – und dann kommt wieder ein Mensch auf die Welt… Ein offener filmischer Zugang zu diesem Themenkreis ist grundsätzlich schwierig. Die Geburtsfilme, die mir begegnen, enthalten kaum etwas von dem, was mich bei meiner Arbeit als Hebamme anrührt und ergreift. Hier sind mir “natürlicherweise” Einblicke in die private, familiäre Sphäre möglich, in denen mir Frauen und ihre Familien viel von ihrem Leben zeigen.

Nach einem Kunststudium (Malerei, Plastik, Film) in Hannover und Braunschweig erarbeitete ich dieses Dokumentarfilmprojekt im Rahmen eines künstlerischen Forschungsprojekts als künstlerische Mitarbeiterin an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. Die Aufnahmen entstanden in der fruchtbaren Zusammenarbeit mit der Kamerafrau Gisela Tuchtenhagen, die nicht nur seit 30 Jahren eine bekannte Filmemacherin, sondern auch ausgebildete Krankenschwester und Mutter von zwei Söhnen ist. Ich hatte die Idee einer künstlerisch angelegten, dokumentarischen “Heimvideo-Reihe”: “Privatfernsehen”, hergestellt mit allgemein verfügbarem “Handwerkszeug” – kleine Hi8-Videokamera und einfache Nachbearbeitungstechnik für die Montage. Die Endbearbeitung des Materials später auf professionellem Schnittsystem.

Bei den Dreharbeiten war ich gleichzeitig die betreuende Hebamme. Das, was ich in Zusammenarbeit mit Gisela Tuchtenhagen filmisch zu erfassen suchten, konnten wir nur in einem Klima von Vertrautheit und Intimität finden. Die Positionen mussten offen und gleichberechtigt bleiben, sonst könnten die Videoaufzeichnungen die Geburten stören – zumindest würde es kaum zu den “nahen” Aufnahmen kommen, um die es mir ging. Als Hebamme kann ich selbst zu einem entsprechend vertrauensvollen Klima beitragen. Während der Geburt gestalte ich die behütete Atmosphäre mit, die die gebärende Frau braucht, um sich in ungestörte Versunkenheit und Konzentration fallen zu lassen; sie kann sich gehen lassen, Schmerz, Verzweiflung – auch “Wildheit” äußern – und in der offenen Sphäre von Zuneigung und Rückhalt kann sich auch eine erotische Dimension des Gebärens ausbreiten. Der Geburtsvorgang wird nicht als medizinisch-biologischer Vorgang begrenzt, er ist Teil der Sexualität einer Frau. Geburt – die bestenfalls mit Liebe, Gemeinschaft, Rückhalt, Erfüllung zu tun hat.

Es fanden sich bald schwangere Frauen / Paare, die bereit waren, bei diesem Projekt mitzuwirken. Wir hatten vereinbart, sobald die beobachtende Kamera stört, würde die Filmarbeit sofort unterbrochen oder abgebrochen – die Geborgenheit der Geburt hatte absoluten Vorrang. Auch bei den später ausgewählten Filmpassagen würde ein nachträgliches “Veto” uneingeschränkt respektiert werden. Zum Konzept gehörte auch, dass Gisela Tuchtenhagen und ich vor der Geburt jeden Hebammenbesuch gemeinsam machten und die Gespräche dabei aufnahmen. Auf diese Weise wurde das Paar mit der Kamerafrau und dem Gefilmtwerden bereits lange vor der Geburt vertraut. Ich war als Hebamme und Filmemacherin in einer Person einerseits Teil des kleinen Filmteams, als betreuende Person jedoch “auf der Seite der Gebärenden” in erster Linie für sie da – dem Blick durch die Kamera ebenso ausgesetzt. Durch ihr persönliches Interesse fügte sich Gisela Tuchtenhagen als selbstverständlich handelnde Person, als Ruhe verbreitende Freundin in die Situation ein.

Gisela Tuchtenhagen hat in ihrem Werk als Filmschaffende einen zurückhaltenden dokumentarischen Stil “teilnehmender Beobachtung” erarbeitet, der in diesem Fall notwendige Bedingung war: wir verzichteten auf künstliche Filmbeleuchtung, Kamerastativ, Inszenierungen und jede Art von störenden “Zutaten”. Nachdem Gisela Tuchtenhagen bisher ausschließlich mit professioneller Filmtechnik gearbeitet hatte, verwendete sie hier zum ersten Mal eine kleine Hi8-Kamera mit aufgestecktem Zusatzmikrophon ohne weitere Assistenz. Die technische Brillanz trat zurück, zugunsten der Ungestörtheit des Geburtsvorgangs. Nach unserem intensivem Austausch über die inhaltliche Filmarbeit vor den Dreharbeiten, konnte ich mich während der Geburt über lange Zeit auf meine Tätigkeit als Hebamme konzentrieren, während Gisela Tuchtenhagen die Filmbilder aufnahm.

Ein Geburtsfilm ist entstanden: aus elf Stunden Videomaterial, aufgenommen innerhalb von 15 Stunden, an einem einzigen Tag in der Zeit von morgens 10.00 Uhr bis nachts 1.00 Uhr. Die gesamte Zeit der Geburt von Zoe und ihrer ersten drei Lebensstunden wurde dokumentiert. Ich bin in dem vielseitigen Rohmaterial einer Spur von “unterbewusstem Gefühl und innerer Orientierung” gefolgt und habe daraus die Filmerzählung angelegt – so wie die Gebärende ihre Aufmerksamkeit in den Nahbereich richtet und die Orientierung nach außen zunehmend aufgibt, folge ich dem Ereignis in Nahaufnahmen und Details der menschlichen Verbindung, verzichte weitgehend auf äußere Orientierung im Film von Zeit und räumlicher Situation. Die Geburt selbst bleibt nahezu zeitlos: dass ein Tag vergeht, wird eher nebenbei erzählt. Erst als das Kind geboren ist, kommt die Uhrzeit wieder ins Spiel.

Dieser Film bleibt beim Persönlichen, Subjektiven: Jede Geburt hat ihren eigenen Verlauf, ihre Geschichte, die nicht zu verallgemeinern ist. Das Gemeinsame von Geburten ist ihre Unvorhersehbarkeit – das Erlebnis bleibt immer neu. So ist auch hier unser Blickwinkel. Die gebärende Mutter und die begleitenden Personen handeln so, wie es diese besondere Geburt erfordert, nach ihrem Temperament, ihrer Lebensform. Durch die Aufnahmefähigkeit und durch die Gestaltung der Kamerafrau, in der Vorbereitung und der nachfolgenden Auswahl und Montage, entstand unser persönliches Bild dieser besonderen Geburt. Jeder Betrachter wird darin seinen eigenen Blick finden – vielleicht entdeckt er allgemeine, vielleicht persönliche Spuren in dieser Abbildung, bei der das “Wesentliche” der Geburt kaum darstellbar, höchstens zu erahnen bleibt.

Katja Baumgarten



Herzlichen Dank den Mitwirkenden


MEIKE – die Mutter, bringt ihr erstes Kind zur Welt, Hebammenschülerin im 3. Jahr

ZOE – die Tochter, kommt auf die Welt

TOKS – der Vater, Meikes Ehemann, nabelt Zoe ab

BIRGIT – die Freundin, Mutter von 2 Kindern,
Hebammenschülerin im 3. Jahr

GELI – die Mutter von Meike, Großmutter von Zoe

HEINER – Gelis Lebensgefährte